Von 1995 bis 2003 haben Dr. Kerstin Höntsch und Dr. Eva Roßmanith im Rahmen eines Telemetrie-Projektes der Goethe-Universität nordwestlich von Frankfurt am Main umfassende Untersuchungen über den Kleinspecht durchgeführt (HÖNTSCH 2004, ROSSMANITH 2005). Das hessische Untersuchungsgebiet umfasst eine Fläche von 72 km² und beherbergte ca. 12 Gebiete, die als potenzielle Kleinspecht-Territorien eingeschätzt wurden, aber nicht alljährlich besetzt waren. Durch den Einsatz von Minisendern gelang es, 31 Kleinspechte über längere Zeiträume im Winter, zur Balz- und zur Brutzeit sowie teilweise auch in mehreren Jahren direkt zu beobachten. Es konnten 33 Bruthöhlen entdeckt werden, was einen vertieften Einblick in die Brutbiologie der Kleinspechte ermöglichte.
Methoden
Untersuchungsgebiet
Die Untersuchungen fanden in Hessen (Main-Taunus-Kreis) statt. Das 72 km² große Untersuchungsgebiet ist stark zersiedelt (ca. 25% Siedlungsfläche) und beinhaltet große Acker- und Grünlandflächen (ca. 30%). Der Streuobstanteil ist mit ca. 15% ausgesprochen hoch. Außerdem finden sich Laub-, Laubmisch- und Nadelwälder zu etwa 30%.
Radiotelemetrie
Diese Untersuchung basiert auf Freilandbeobachtungen von Kleinspechten. Um eine systematische Untersuchung des Verhaltens im Lebensraum durchführen zu können, wurden die Vögel mit 1,2 g leichten Miniatursendern versehen. Diese Sender ermöglichen es, die unauffälligen Kleinspechte jederzeit aufzuspüren. Es konnten 31 Kleinspechte besendert werden.
Beringung
Beim ersten Fang werden die Kleinspechte individuell markiert. Sie erhalten einen Aluring der Vogelwarte Helgoland sowie eine Farbringkombination aus zwei Plastikringen am anderen Bein. Genauso werden auch die Jungvögel beringt. Es wurden 80 Kleinspechte markiert.
Ergebnisse
Aktionsraum
Die Aktionsraumgröße der Kleinspechte verändert sich im Jahresverlauf beträchtlich (HÖNTSCH 1996). Insbesondere im Winter und zur Balzzeit legen die kleinsten einheimischen Spechte große Strecken zurück. So bewegen sie sich in Aktionsräumen von maximal 410 ha im Winter, was ungefähr einer Fläche von 400 Fußballfeldern entspricht. Während der Balzzeit verkleinert sich die genutzte Fläche auf etwa 130 ha. In der Brutzeit sammeln die Kleinspechte die insektenreiche Nahrung für ihre Jungvögel in durchschnittlich 27 ha großen Gebieten (HÖNTSCH 2004). Damit liegen die Raumansprüche der spatzengroßen Kleinspechte weit über denen anderer, schwererer und größerer Spechtarten. Den Gründen hierfür wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts nachgegangen.
Habitatnutzung
Die besenderten Kleinspechte nutzen einen sehr abwechslungsreichen Lebensraum (HÖNTSCH 1996). Im Untersuchungsgebiet werden hauptsächlich Obstwiesen, Laubwälder, Ufergehölz und Fichtenwälder aufgesucht.
Bei der Nahrungssuche wird keine spezielle Baumart bevorzugt. Viel mehr werden gezielt dünne tote Zweige im Baum angeflogen. Bei der vorwiegend hackenden Nahrungssuche finden die Spechte hauptsächlich Käfer- und Schmetterlingslarven. Allerdings zeigt sich auch hier eine saisonale Veränderung. Mit zunehmender Belaubung im Frühjahr gehen die Vögel dazu über, ihre Nahrung von den Blättern der Apfelbäume, Weiden und Eichen abzulesen (HÖNTSCH 2004). Sie ernähren sich und ihre Jungvögel dann hauptsächlich von Blattläusen, Schmetterlingsraupen und Kohlschnaken. Dabei werden auch Ameisen aufgenommen (ROSSMANITH 1999). Habitat- und damit auch Nahrungswahl werden u.a. in Bezug auf den Bruterfolg näher untersucht.
Höhlennutzung
Kleinspechte beziehen nur selbstgebaute Höhlen zum Schlafen und zum Brüten. Höhlenbau findet ganzjährig statt, allerdings verstärkt von Ende März bis Mitte Mai, wenn die Bruthöhlen gebaut werden. Die Höhlen werden meistens in dünnen Ästen, mit nur 15 cm Durchmesser angelegt. Dabei wird keine spezielle Baumart bevorzugt; wichtig ist aber, dass der Ast oder Stamm morsch, also oft schon mehrere Jahre abgestorbenen ist. Dadurch wird das Holz weich genug, damit die kleinen Spechte es bearbeiten können. Diese Höhlen in faulendem Holz sind jedoch nicht lange haltbar. Deswegen müssen Kleinspechte in einem Jahr mehrere Höhlen bauen (HÖNTSCH 2001a). Schlafhöhlen finden sich oft nicht im Zentrum der Aktionsräume, sondern eher am Rand eines Spechtlebensraumes. Die Bruthöhlen liegen allerdings im Zentrum der Reviere und in kurzer Distanz zum Laubwald, der zur Brutzeit eine wichtige Rolle bei der Nahrungssuche spielt. Welche Parameter Einfluss auf die Wahl des Höhlenstandorts haben wird ermittelt.
Brutbiologie
Durch die intensive Beobachtung der Kleinspechte mit Hilfe der Radiotelemetrie gelang es 1996 erstmals, Polyandrie bei den bisher als monogam geltenden Kleinspechten nachzuweisen (HÖNTSCH 1996). Auch 1998 konnte wieder ein Weibchen bei der Verpaarung mit zwei Männchen beobachtet werden. Mit der Eiablage beginnen die Kleinspechtweibchen Ende April. Sie legen im Durchschnitt 5 Eier und beginnen nach dem letzten Ei mit der Bebrütung. Da Schlupf- und Ausflugerfolg eher gering sind, fliegen aus einem Nest durchschnittlich nur zwei bis drei Junge aus (ROßMANITH 1999). Noch bis zu zwei Wochen werden die Jungvögel von jeweils einem Elternteil geführt, bevor sich die Familien auflösen. 10% der nestjung beringten Kleinspechte konnten im Untersuchungsgebiet als Brutvögel im Folgejahr wieder aufgefunden werden.
Lautäußerungen
Die bekanntesten Lautäußerungen von Kleinspechten sind die „kikiki“-Rufreihe und die langen, leisen Trommelwirbel, die man nur in der Balzzeit hören kann. In dieser Zeit, von Februar bis Ende April, ist der Kleinspecht gerade in den Morgenstunden bis in den Mittag hinein besonders ruffreudig: bei fast der Hälfte aller Beobachtungen am Morgen haben die Kleinspechte gerufen und in 15% der Fälle auch getrommelt. Mit Beginn der Brutzeit im Mai verstummen die Kleinspechte allerdings und sind erst im Juni mit den ausgeflogenen Jungen wieder besser wahrnehmbar (CAMPOLATTANO 2001). Welche Funktion Ruf- und Trommelreihe haben, ob sie standortabhängig sind und ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, war Thema dieser Untersuchung.